Morgengrauen

Morgengrauen.
Grauer und düsterer Nebel hüllt das stille Land in Schweigen.
Sogar die Vögel schlafen noch, schlafen noch. Betretenes Schweigen und Tau, der von den Bäumen tropft.
Die Luft ist schwer von der Nässe und klammen Kälte der Nacht.
Grau der Himmel, überzogen von schwarzen Wolken, die lassen den untergehenden Mond nicht durch, und die Sonne, sie schläft auch noch. Sie ist kurz vor dem Erwachen, kurz davor, aufzuspringen, aber sie schläft noch tief, tief und fest.
Die Schritte schlurfen still über den Boden.
Ich bin hellwach und ganz Herzklopfen.
Ich benetze die müden Augenlider mit dem eiskalten Wasser, es tropft von den zitternden Wimpern, ich nehme alles wahr, gespannte Aufmerksamkeit. Bis auf den Boden kann ich dem fallenden Tropfen folgen, ich sehe ihn zerspringen wie Glas, so zerbrechlich und so schön. Die Kehle ist wie zugeschnürt, ein leiser Schauer durchfährt mich.
Still still höre ich ihre Schritte. Ganz still.
Ganz betretenes Schweigen, das Land ist ganz getaucht in die Stille. Die Ruhe vor dem Sturm.
Eine schwarze Krähe fliegt schwerfällig auf, durchpflügt das graue Wolkenbild, wie ein Schatten, wie ein Unheil verkündender Bote des Todes.
Und mir ist so kalt.
Ein warmes Schnauben eines Pferdes, das mit aufmerksamen, dunklen Augen den stillen Schritten folgt. Das Stampfen eines Hufes auf dem Boden, eine leise Anspannung liegt in der Luft. Und dennoch ist es still, so still. Die Ohren gespitzt und so aufmerksam. Ein leises Klirren, als ich den eisernen Harnisch anlege. Mit geübtem Griff den schweren Panzer über meine Brust ziehe, die Schnallen schließe, das leise Klirren, das Gewicht, das auf meine Schultern drückt, der schwarz glänzende Harnisch, der mich gefährlich macht. Ich sehe mich um, sehe sie still arbeiten, sie bereiten sich schweigend vor, im Morgengrauen.
Das düstere Glänzen der Rüstungen, das Blitzen von Schwertern.
Blicke, die sich treffen, die sich verstehen, ohne viel zu sagen.
Ich spüre die leichte Nervosität, die Anspannung und die Morgenkälte lassen mich erschauern.
Mein Herz krampft sich zusammen in der Brust, düster der Himmel mit den Krähen und dem Tod. Mir ist so kalt und der leise Schauer läßt mich nicht mehr los.
Wie eine kalte eiserne Klaue, umfaßt mein Herz, das still und unermüdlich schlägt, still still gegen verschlossene Türen klopft. Die leise Angst hält mein Herz fest, unentrinnbar. Betretenes Schweigen, grauer Himmel, schwarze Schatten, Stille, Stille, die Ruhe, die grausame Ruhe vor dem Sturm.
Augen, die sich ansehen, zusammengekniffen, damit man die leise Angst nicht sieht. Augen, die tief und ruhig scheinen, das aufgewühlte Schweigen unter einer tiefen Leere verborgen. Sie sehen mich an, und ich schaue jedem von ihnen in die Augen, tief und unergründlich, rätselhaft und doch so vertraut. Rätselhaft und doch so offensichtlich.
Aufgewühlte Gefühle, leise Zweifel und die Angst, das Zittern tief, ganz tief innen drin.
Ich wende mich abrupt ab und sattle mein Pferd. Klopfe leise gegen den breiten Hals, es dreht sich um und sieht mich an mit dem tiefen, aufmerksamen Blick, ich sehe den schwarzen Schlitz der Pupille und die tief dunkelbraune Iris, als es mich anschaut.
Rücke den Sattel zurecht, ich rieche das Leder und ich rieche den warmen Pferdegeruch. Als ich den Gurt anziehe, klopft ihr Huf protestierend auf den Boden, aber schnell schnell stellt es ihn wieder hin, die Stille darf nicht gestört werden, nicht gestört werden. Ich höre den warmen Pferdeatem, der in weißen Wolken vor den aufgeblähten Nüstern steht.
Ich streife ihr das klirrende Zaumzeug über den Kopf, es senkt den Hals, bereitwillig nimmt es das Gebiß auf. Ich spüre seine Anspannung, ich fühle das Spiel der Ohren und die dunklen Augen, die mich ansehen.
Leise leise führe ich es an unseren Platz, zerstört nicht die Stille, zerstört nicht die Stille. Ich sehe ihre Blicke auf mir ruhen, ich höre die Pferde leise schnauben, hin und wieder ein stilles Wiehern, wie ein leises Flüstern.
Weckt die Sonne nicht. Ich sehe die Krieger aufsitzen, noch ein letztes Überprüfen des Zaumzeugs. Der graue Himmel macht die nebelverhüllte Landschaft zu einem gespenstischen Spinnennetz, eingehüllt, gefangen im Leben ohne Entrinnen.
Tief ziehe ich die Luft ein, kalt und scharf brennt sie im Hals. Es riecht nach Regen und nassen Pferden. Ich spüre die Wärme der aufgereihten Tiere, ich spüre die Anspannung der Krieger kurz vor dem Sturm. Niemand sagt einen Laut.
Ich stelle meinen Fuß in den klirrenden Steigbügel, ziehe mich hoch, mein Roß tritt einen Schritt beiseite, nervös, angespannt, die Ohren spitzend, ich gleite in den Sattel, stelle es mit leichter Gewichtsverlagerung wieder gerade, es senkt schnaubend den breiten Schädel, nickt ungeduldig, schüttelt die wilde Mähne.
Ich sitze fest im Sattel; als ich auf das große schwarze Schlachtroß steige, ist die Welt ein Kinderspiel.
Nur der leise Schenkeldruck und sie macht drei Schritte vorwärts, läßt sich dann auf der Stelle wenden mit dem beinahe unmerklichen Anheben eines Zügels, eifrig, aufmerksam, nervös mit schäumender Schnauze auf dem Gebiß kauend.
Ich sehe meine Leute an, auf ihren Pferden sitzend. Die Krieger, die stillen Krieger, die mich ansehen. Ruhig und erwartungsvoll. Bereit. Sie alle sehen mich an und ich spüre die warme Unnahbarkeit.
Wenn wir bereit sind, ist die Welt ein Kinderspiel. Kein Vogel wagt sich zu regen.
Leise das klirrende Schleifen von Metall, als ich das Schwert aus der Scheide ziehe, fest umfaßt den Heft, spüre die vertraute Ausbalanciertheit meiner Waffe, eine Sekunde noch und ich reiße sie hoch, die blitzende Klinge durchschneidet die Wolken.
Und hundert Schwertklingen folgen mir auf den Flug in den Himmel.
Ungeduldig tänzelt mein mächtiges Roß, will sich drehen, damit es fliegen kann. Ich halte dagegen, sanft mit dem Stiefel an den Seiten die Richtung bestimmend, mit der anderen Hand den Zügel aufgenommen, das Tier nickt und nickt mit der mächtigen Stirne, ich spüre die Ruhe vor dem Sturm, mehr als laut, die Ruhe vor dem Sturm.
Kurzes Innehalten, kurz ganz kurz nur, die Sekunde Schweigen, die Sekunde lang alles wahrnehmen und fühlen.
Vor dem Sturm.
Ich brülle es aus mir heraus.
Meine heisere Stimme ist weithin hörbar.
Ich schreie gegen den Regen, ich schreie gegen die Welt.
Ich schreie den Kriegsschrei, den Kriegsschrei, der alles verändert. Ich brülle ihn hinaus, jeder soll ihn hören... laut und unverkennbar wild. Der Schrei voll Siegeslust, die ungezähmte Gier, die ungezügelte Macht, ich schreie den Kriegsschrei...
Ich strecke das blitzende Schwert hoch über meinen Kopf, ich steche es in den wolkenbehangenen Himmel und es regnet Blut. Es regnet Blut.
Ich spüre die Macht, die ich gerufen habe, ich spüre mein Streitroß beben und ich lasse es drehen, ich lasse die Zügel schießen und ich spüre die Gewalt, mit der es abzuheben scheint, wir fliegen dahin über das Land, das Land, geschlagen von hundert donnernden Hufen, der Himmel durchzuckt von hundert tödlichen Schwertern. Hundert heisere Kehlen, die den Kriegsschrei beantworten, wir schreien unsere Übermacht heraus, wir wecken die Sonne und es ist Sturm. Nie wieder Ruhe.
Es ist zu spät, es ist zu spät, die fliegende Macht kann nicht mehr aufgehalten werden, das Fieber kann nicht mehr gekühlt werden.
Wir fliegen über das Land und es regnet Blut.
Die Sonne ist erwacht.
Wir überraschen den Tag mit düsterer Schar, wir kommen über das Land, die unaufhaltbare Übermacht.
Das erste Licht wirft einen vorsichtigen Blick auf die gleißenden Schwertklingen, ich spüre das Rennen der Pferde, ich höre den unheilvollen Donner ihrer Hufe und ich weiß, nichts kann uns mehr aufhalten.
Wenn wir auf dem Rücken unserer Schlachtrösser sitzen, ist die Welt ein Kinderspiel. Das Land erzittert unter den Hufen, die Luft bebt von Kriegsgeschrei.
Es gibt kein Zurück mehr, jetzt nicht mehr, entfesselt ist der Dämon, heraufbeschworen die dunkle Macht.
Das Land jagt vorbei, ein Leben im Flug, die Federn durchtränkt vom blutigen Regen, die Kehle heiser vom Kriegsgeschrei, die Augen gleißend in den ersten Sonnenstrahlen.
Und langsam erwachen auch die Vögel und besingen den Morgen.
Doch wir hören es nicht.


Gisela Nagy, 17.-19.03.2000