Ich bin der Vogel

Ich bin der Vogel, dem sie die Flügel stutzen.
Ich schreie mir die Seele aus dem Leib, der Schnabel weit geöffnet.
Die Flügel gespreizt und festgehalten, unbarmherzig.
Feder für Feder abgeschnitten, Feder für Feder fällt zu Boden.
Gnadenlos festgehalten, gehindert zu fliegen, gebunden an den Boden.
Ich schreie mir stumm die Seele aus dem Leib, die spitze Zunge weit herausgestreckt, der Schnabel schweigend in Entsetzen weit geöffnet.
Die schwarzen Augen aufgerissen, das Grauen spiegelt sich darin wider wie in stiller See.
Das Knacken und Fallen der abgeschnittenen Federn. Gebunden an den Boden, gehindert am Eintauchen in den Himmel, gefesselt an die Traurigkeit der Schwerkraft.
Senke das Haupt, Vögelchen. Denn wozu Du geboren bist sollst Du vergessen.
Senke das Haupt in singender Traurigkeit.
Senke das Haupt Vögelchen und kümmere singend dahin.
Ich bin der Vogel, dem sie die Flügel stutzen.


Gisela Nagy, 26.03.2000